Der Leidenweg der Opfer:
1920 der Mediziner (Psychiater) Hoche und der Jurist Binding verfassen eine Schrift mit dem Titel „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens. - Ihr Maß und ihre Form.“ Dort werden furchtbare Überlegungen darüber angestellt, wie sehr kranke Menschen die Gesellschaft belasten und das es doch für alle besser wäre diese „Ballastexistenzen und Defektmenschen“ (dazu gehören unter anderem auch Menschen mit Greisenveränderungen des Gehirns) zu entsorgen.
Zitate Binding (Jurist):
Daß es lebende Menschen gibt, deren Tod für sie eine Erlösung und zugleich für die Gesellschaft und den Staat insbesondere eine Befreiung von einer Last ist, deren Tragung außer dem einen, ein Vorbild größerer Selbstlosigkeit zu sein, nicht den kleinsten Nutzen stiftet, läßt sich in keiner Weise bezweifeln.
Wieder finde ich weder vom rechtlichen, noch vom sozialen, noch vom sittlichen, noch vom religiösen Standpunkt aus schlechterdings keinen Grund, die Tötung dieser Menschen, die das furchtbare Gegenbild echter Menschen bilden und fast in jedem Entsetzen erwecken, der ihnen begegnet, freizugeben - natürlich nicht an Jedermann!
Zum „Freigebungsausschuß“:
Daraus dürfte sich ihre Besetzung ergeben: ein Arzt für körperliche Krankheiten, ein Psychiater oder ein zweiter Arzt, der mit den Geisteskrankheiten vertraut ist, und ein Jurist, der zum Rechten schaut. Diese hätten allein Stimmrecht.
Tötet dann jemand einen Unheilbaren, um ihn zu erlösen - seis mit seiner Einwilligung, seis in der Annahme, der Kranke würde sie zweifellos erteilen und sei daran nur durch seine Bewußtlosigkeit gehindert, - so müßte m. E. für solchen Täter und seine Gehilfen gesetzlich die Möglichkeit, sie straflos zu lassen, vorgesehen sein, und sie würden straflos zu bleiben haben, wenn sich die Voraussetzungen der Freigabe nachträglich als vorhanden gewesen ergeben würden.
Zitate Hoche (Mediziner):
Die ärztliche Sittenlehre ist nicht als ein ewig gleichbleibendes Gebilde anzusehen. Die historische Entwicklung zeigt uns in dieser Hinsicht genügend deutliche Wandlungen. Von dem Augenblicke an, in dem z. B. die Tötung Unheilbarer oder die Beseitigung geistig Toter nicht nur als nicht strafbar, sondern als ein für die allgemeine Wohlfahrt wünschenswertes Ziel erkannt und allgemein anerkannt wäre, würden in der ärztlichen Sittenlehre jedenfalls keine ausschließenden Gegengründe zu finden sein.
Für die nicht ärztlichen Leser sei erwähnt, daß in der ersten Gruppe Zustände geistigen Todes erreicht werden: bei den Greisenveränderungen des Gehirns, dann bei der sogenannten Hirnerweichung der Laien, der Dementia paralytica, weiter auf Gund arteriosklerotischer Veränderungen im Gehirn und endlich bei der großen Gruppe der jugendlichen Verblödungsprozesse (Dementia praecox), von denen aber nur ein gewisser Prozentsatz die höchsten Grade geistiger Verblödung erreicht.
Diese Belastung ist zum Teil finanzieller Art und berechenbar an Hand der Aufstellung der Jahresbilanzen der Anstalten. Ich habe es mir angelegen sein lassen, durch eine Rundfrage bei sämtlichen deutschen in Frage kommenden Anstalten mir hierüber brauchbares Material zu verschaffen. Es ergibt sich daraus, daß der durchschnittliche Aufwand pro Kopf und Jahr für die Pflege der Idioten bisher 1300 M. betrug. Wenn wir die Zahl der in Deutschland zurzeit gleichzeitig vorhandenen, in Anstaltspflege befindlichen Idioten zusammenrechnen, so kommen wir schätzungsweise etwa auf eine Gesamtzahl von 20 - 30 000. Nehmen wir für den Einzelfall eine durchschnittliche Lebensdauer von 50 Jahren an, so ist leicht zu ermessen, welches ungeheure Kapital in Form von Nahrungsmitteln, Kleidung und Heizung, dem Nationalvermögen für einen unproduktiven Zweck entzogen wird.
Dabei ist hiermit noch keineswegs die wirkliche Belastung ausgedrückt.
Die Anstalten, die der Idiotenpflege dienen, werden anderen Zwecken entzogen; soweit es sich um Privatanstalten handelt, muß die Verzinsung berechnet werden; ein Pflegepersonal von vielen tausend Köpfen wird für diese gänzlich unfruchtbare Aufgabe festgelegt und fördernder Arbeit entzogen; es ist eine peinliche Vorstellung, daß ganze Generationen von Pflegern neben diesen leeren Menschenhülsen dahinaltern, von denen nicht wenige 70 Jahre und älter werden.
1933 Die Euthanasie war also ursprünglich gar nicht die Idee von Hitler sondern die von deutschen Ärzten. Diese Denkweise der Mediziner wurde aber gern von Hitler übernommen und in die Praxis umgesetzt. Eingeleitet wurde die Entwicklung mit dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" vom 14. Juli 1933 (RGBl. 1933 I, 529), das eine erzwungene Sterilisation von Menschen mit vermeintlich erblichen Krankheiten vorsah. Insgesamt bis zu 400.000 Männer und Frauen wurden zwangssterilisiert, wobei über 6.000 Menschen zu Tode kamen.
1935 Durch das „Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom 26. Juni 1935 (RGBl. 1935 I, 773) wurde der Schwangerschaftsabbruch bei diagnostizierter Erbkrankheit legalisiert. Hinzu kamen neben der schon bestehenden medizinischen Indikation 1938 die rassische Indikation und 1943 die ethische Indikation.
1939 Die so genannte "Aktion T4" begann 1939. T4 steht für "Tiergartenstrasse Nummer 4" in Berlin, wo die Ermordung von fast 200.000 körperlich und geistig behinderten Menschen beschlossen wurde. Die Tötung erfolgte durch Kohlenmonoxidgas, das der Anstaltsarzt einströmen ließ. Die T4-Organisatoren Viktor Brack und Werner Heyde ordneten an, dass die Tötung der Kranken ausschließlich durch das ärztliche Personal erfolgen durfte, da sich das Ermächtigungsschreiben Hitlers vom 1. September 1939 nur auf Ärzte bezog.
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